Mit dem technologischen Wandel Schritt zu halten, dem Wettbewerb Stand zu halten, dabei nicht stehen zu bleiben, sondern sich beständig weiter zu entwickeln – dieser Herausforderung sehen sich Unternehmen ständig ausgesetzt. Oft geht mit der Innovation des Geschäfts auch der Bedarf nach organisationalem Wandel Hand in Hand. Wie der Spagat zwischen dem Beibehalten erfolgreicher Werte und Wege und dem Eröffnen neuer Möglichkeiten gelingen kann, und worauf Unternehmen dabei auch intern zu achten haben, erläutert Andrew Binns von Change Logic. Er begleitet seit 20 Jahren Technologieunternehmen genau dabei.
Die Märkte werden immer dynamischer, der Wettbewerbsdruck steigt. Wie können Unternehmen in dieser Situation mit ihrem Marktumfeld Schritt halten?
Die Herausforderungen eines sich wandelnden Umfeldes zu meistern, bedeutet zwei Dinge gleichzeitig zu beherrschen: einerseits das Kerngeschäft effizient zu managen, andererseits neue Geschäftsfelder zu explorieren. Das Kerngeschäft bleibt bestehen und muss mit den Vorstößen in neues Terrain ausbalanciert werden. Unternehmen brauchen die Fähigkeit das Kerngeschäft zu betreiben und zur selben Zeit Neues zu wagen. Das Explorieren erlaubt zu erkennen, wo es in der Zukunft Geschäftsmöglichkeiten geben wird, wie der Markt aussehen wird, wer dort Geld verdienen wird und welche Lösungen funktionieren werden. Die Fähigkeit quasi mit der Zukunft zu experimentieren, von ihr zu lernen und daraus neue Geschäftstätigkeiten abzuleiten, kennzeichnet jene Unternehmen, die sich erfolgreich anpassen werden können.
Welche Hindernisse müssen Unternehmen intern überwinden, wenn Sie den nötigen Wandel vollziehen wollen, der es Ihnen erlaubt „fit“ für diese dynamischen Märkte zu werden?
Das lässt sich meiner Meinung nach auf wenige Themen beschränken. Zunächst handelt es sich beim Explorieren um eine andersartige Tätigkeit als beim Ausschöpfen des Kerngeschäfts (exploitation). Viele Unternehmen müssen das Explorieren erst lernen. Viele müssen es aber auch wieder erlernen, denn zahlreiche erfolgreiche Unternehmen haben eine unternehmerische Vergangenheit, in Zuge derer sich aber ihre Praktiken so an ihr aktuelles Geschäftsmodell angepasst haben, dass es immer schwieriger wurde sich davon wieder wegzubewegen.
Ein Beispiel dafür ist die Halbleiter-Industrie. Halbleiter sind eine Kerntechnologie, welche die digitale Revolution erst möglich machen. In dieser Branche haben sich die Gewinne sehr rasch von der Hardware, also auch den Halbleitern, weg verschoben, hin zur Software. Heute gibt es zehn Mal mehr Softwareexperten als Halbleiter-Experten. Auch der Großteil der Innovation passiert bei der Software, die sich auf den Chips befindet. Für die Halbleiterhersteller ist dies eine Kompetenz, die ihnen völlig fremd ist. Sie kennen sich mit Codierung und Programmierung nicht aus. Dieser Wandel in den erforderlichen Kompetenzen macht es schwierig für die Hersteller darauf zu reagieren und ein erfolgreiches Geschäftsfeld in einem neuen Bereich aufzubauen. Es können also auch die Kernkompetenzen eines Unternehmens sein, die zu Trägheit oder Unbeweglichkeit (inertia) führen.
Zudem ist „Exploration“ neuer Bereiche auch ein völlig anderes Unterfangen als „Exploitation“. Denken Sie an den Aufbau eines neuen Geschäftsfeldes, etwa am Beispiel der Finanzdienstleistungen. In dieser Branche ist eine der größten Veränderungen im Moment, dass die neue Generation der Millenials, die nun Konsumenten von Versicherungs- und Pensionsprodukten werden, ganz anders über Geld und Karriere denken als jemand aus meiner Generation. Als Finanzserviceanbieter muss man einige neue Geschäftsmodelle testen um herauszufinden, was für die Millenials am besten funktioniert. Etablierte Firmen tun sich mit diesen Experimenten oft schwer. Sie sind mehr Sicherheit in Bezug darauf gewohnt, was funktionieren wird. Wenn sie eine gute Idee sehen, setzen sie gleich sehr viel Geld darauf und bauen das Geschäft sehr schnell auf. Startups würden dies nie tun, sie lernen Knappheit zu managen. Sie investieren ein wenig, lernen, was gut funktioniert, investieren dann etwas mehr, wenn es klappt, und wenn nicht, verändern sie ihr Angebot. Mit dieser Vorgehensweise können große Unternehmen aber nicht umgehen.
Das Geheimnis erfolgreicher Unternehmen liegt meiner Ansicht nach also darin, diese Dynamik eines trägen Kerngeschäfts mit Routinen, die zum Erfolg geführt haben, auf der einen Seite, mit einem anderen Herangehen an das Explorieren des Geschäfts auf der anderen Seite zu verbinden.
Wie gelingt es Ihnen in Ihrer Arbeit mit Unternehmen, dass diese die Notwendigkeit für das Explorieren zu begreifen?
Wir erschrecken sie. Es gibt sehr kraftvolle Geschichten von Unternehmen, die stecken geblieben sind. Mein persönlichen „Lieblingsbeispiele“ sind dabei Kodak und Polaroid. Nehmen Sie Polaroid: Polaroid hat die Sofortbildfotografie im Jahr 1947 erfunden. Über viele Jahrzehnte ist das Unternehmen zu einer unglaublich innovativen Firma herangewachsen. Doch dann kam die Digitalkamera und 2007 ging Polaroid schließlich pleite. Ein populärer Mythos ist, dass Polaroid nicht absehen konnte, was kommt. Das ist nicht wahr. Polaroid verfügte in den frühen Neunzigern über die fortschrittlichste Digitalkamera der Welt, doch sie haben bewusst beschlossen, diese Technologie nicht weiter zu verfolgen. Sie konnten sich die Welt ohne den Bedarf nach physischen, ausgedruckten Bildern nicht vorstellen. Sie waren geblendet von ihrem eigenen Geschäftsmodell. Die Geschichten beider Firmen, auch der von Kodak, sind ein eindrückliches Beispiel für Unternehmen, die zwar die Zukunft kommen sehen, aber es nicht schaffen zu handeln. Wenn Führungskräfte dadurch verstehen, dass die Limitationen der Zukunft in ihrer Hand liegen, beginnen sie diese zu erkennen und zu durchblicken.
Eine unserer Erkenntnisse ist auch, dass es nicht nur darum geht, absehen zu können, was kommt, sondern auch einschätzen zu können, ob man damit umgehen kann. Die meisten Führungskräfte sehen fundamentale Veränderungen im Markt, aber ihnen fehlt ein Weg durch diese Veränderungen. Sobald sie diesen Weg sehen, ist es möglich für sie zu agieren.
Was sind Ihrer Erfahrung nach die wichtigsten Hebel für den erfolgreichen, langfristigen organisationalen Wandel?
Der erste Hebel ist das Commitment zum Experimentieren im Dienste einer Vision. Man braucht dazu die Vorahnung bzw. Erwartung des Erfolgs. Zu oft wird von Wandel im Zusammenhang mit dem Löschen von Bränden gesprochen. Aber eigentlich führt das Sprechen über Bedrohungen nur dazu, dass die Menschen erstarren. Wenn sie allerdings die Möglichkeiten sehen, dann sind sie begeistert und wollen sich darauf zubewegen, sie sind dadurch motiviert. Man benötigt also eine Vision, den Mut diese Vision auch auszuprobieren und eine Gemeinschaft von Führungskräften. Die Führungskräfte müssen einen offenen Dialog darüber führen, wie sie an ihr Ziel gelangen wollen. Sie müssen weiters die Fähigkeit zur Iteration und zum kontinuierlichen Lernen haben. Natürlich braucht man auch einen disziplinierten Prozess des Wandels.
Wie kann es Führungskräften gelingen ihre Mitarbeiter vom Wandel zu überzeugen, wenn Wandel doch oft gerade für sie Unsicherheit und Instabilität mitbringt und dadurch einschüchtert?
Zunächst braucht das Führungsteam Alignment. Die meisten Changeprozesse scheitern an der Trägheit des Führungsteams. Das Alignment des Führungsteams muss daher die oberste Priorität haben. Dabei geht es jedoch nicht um die Übereinstimmung im Verhalten, sondern um das geteilte Verständnis der Herausforderung für das Geschäft. Alignment in diesen Situationen bedeutet: „Verstehen wir die Herausforderungen, sind wir uns darüber einig, sind wir uns der Vision klar? Ist uns klar, dass wir einige unserer bisherigen Annahmen verwerfen müssen, Macht aufgeben müssen etc., wenn wir diesen Weg gemeinsam verfolgen?“
Eine weitere Rolle spielt die Frage, ob es gelingt, eine Gemeinschaft der Führungskräfte auf der nächsten Ebene aufzubauen, welche die Vision weiterträgt. Man muss einen tiefgehenden Dialog über die Strategie führen, damit das Commitment dazu auch auf dieser Ebene sichergestellt ist.
Auf den Ebenen darunter ist es wichtig, alle so gut einzubeziehen, dass jedes Team seinen Teil der Geschichte versteht. Nicht jeder kann beim Thema Innovation auf dieselbe Weise eingebunden sein. Dennoch muss jeder erkennen können, wie das, was er tut am Ende zur Transformation de Unternehmens beiträgt.
ZUR PERSON
Andrew Binns, MSc ist Managing Principal und Mitgründer von Change Logic LLC, einer Unternehmensberatung mit Sitz in Boston und London. Er ist zudem Vorstandsvorsitzender der Non-Profit-Organisation Stakeholder Forum for a Sustainable Future. Seine wissenschaftlichen Arbeiten wurden in renommierten Fachzeitschriften wie MIT Sloan Management Review und Harvard Business Review veröffentlicht.
Erschienen im Spectrum 14/2014